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Industrie 4.0 in der Galvanotechnik

Seit einigen Jahren geistert ein Schlagwort durch die Presse: „Industrie 4.0“. Gemeint ist die Integration von Fertigungsprozessen, Erfassung und Bearbeitung von Daten und der offenen Kommunikation durch das Internet. Das „Internet der Dinge“ (engl. Internet of Things – kurz: IoT) spielt hierbei eine maßgebliche Rolle bei der Betrachtung der Produkte, welche die Prozesse durchlaufen. Letztlich geht es um eine durchgängige Transparenz des Produktionsablaufs und aller hierbei entstandenen Daten, Informationen und Dokumentationen.1

1 https://www.bmbf.de/de/zukunftsprojekt-industrie-4-0-848.html

Insofern ist I4 im Grunde ein logischer Folgeschritt der computerunterstützten Fertigung (CAM/CIM). Dieses Thema findet seinen Ursprung in den späten 1960er Jahren, in denen das computerunterstützte Zeichnen und Konstruieren aufkam.2 

Es war im Grunde zwingend, dass die neu geschaffenen Möglichkeiten der Computerisierung sukzessive – zunächst unterstützend und später sogar aktiv –, an allen Prozessstufen teilhatten.

2 https://de.wikipedia.org/wiki/Computer-integrated_manufacturing

Wie so oft bei der Einführung neuer technischer Möglichkeiten bilden sich dabei naturgemäß eine Vielzahl von unabhängigen Systemen und Techniken heraus, die schon sehr bald zu Widerständen in den Prozessketten führen und nach Normierung oder unabhängiger Spezifikation rufen. Aktuell kennen wir dieses Thema z. B. im Bereich der Ladegeräte, bei denen sich der USB-Standard nach langen, quälenden Phasen, in denen ein jeder zig verschiedene Geräte, Kabel oder Adapter mit sich führen musste, als breiter Standard für die Stromübertragung durchgesetzt hat. Durch die Schaffung dieses Quasi-Standards wurde nun der nächste Folgeschritt möglich: Durch USB-C wird eine Erweiterung der möglichen Leistungsübertragung realisiert, die eine deutliche Erweiterung dieses Anschlusses auf leistungsstärkere Geräte ermöglicht.

Es gibt aber einen weiteren Antrieb für I4, der in den Erwartungen der Automobilindustrie breite Anwendung findet: das Qualitätsmanagement. In der ISO 9000 Normen-Reihe, insbesondere aber in der schärferen TS 16494, findet sich eine Vielzahl von Forderungen hinsichtlich Identifikationen, Dokumentationen und Rückverfolgungen, die durch den recht fehleranfälligen Prozessführer Mensch oft nur unzureichend abgebildet werden können. Es bedarf aus Sicht der Prozesse schon sehr häufig einen möglichst hohen Automatisierungsgrad, um diesen Forderungen noch einigermaßen zu entsprechen. Der Wunsch, dass die Teile selbst die nötigen Daten zur Verfügung stellen ist groß. Die Antwort heißt hier einfach: IoT.

Dabei muss man sich in aller Deutlichkeit die Frage stellen, ob I4 überhaupt eine neue Technologie, bzw. sogar eine Revolution darstellt. Im Grunde ist sogar die wissenschaftlich häufig diskutierte Begrifflichkeit der Evolution irreführend.

Industrie 4.0 ist eine griffige Überschrift für eine ganze Reihe von Betrachtungsweisen auf Daten und Informationen. Nicht einmal die Erfassung dieser Informationen ist dabei revolutionär. Diese ist nach wie vor noch immer nicht klar definiert und es ist fraglich, ob dies überhaupt jemals gelingen kann.

Doch was ist I4 dann?

Entlang der Prozesskette eines jedes Unternehmens entstehen eine schier unüberschaubare Anzahl von Daten, die in einem extrem heterogenen Umfeld erfasst und verarbeitet werden. Standard neben der EDV, also der Erfassung von Informationen mit der Unterstützung elektronischer Systeme wie Computer, Handhelds und entsprechenden Datenbanken, ist nach wie vor auch die schriftliche Erfassung auf Papier wie Formularen oder aber durchaus auch sog. „Schmierzetteln“.

Jeder Beteiligte erfasst schlussendlich weit über das bewusste Maß hinaus, eine Menge von Daten, die „nur“ in seiner Erinnerung gespeichert werden. Meist gehen diese Daten bei Beendigung des eigentlichen Prozesses sogar verloren.

Die Bewältigung dieser Flut an Informationen stellt selbst für kleinste Unternehmen einen kaum zu organisierenden Kampf dar. In den allermeisten Fällen beschränken sich die Erfassungen der Daten auf zwingend nötige Informationen, die z. B. durch Auflagen der Behörden oder Forderungen von Kunden und Lieferanten erwartet werden. Dass ein großer Teil dieser Informationen in diesen Fällen verloren gehen und/oder strukturell nicht wieder herstellbar sind, ist ein großer Verlust.

Erfolgreich sind am Ende jedoch nur Technologien, die für die Beteiligten einen Sinn ergeben. Der Sinn der Erfassung liegt auf verschiedenen Ebenen:

  • Persönliche Absicherung
  • Produkt- und Prozessqualität
  • Prüfung und Steigerung von Effizienz
  • Dokumentation und Verbesserung von Produkt- und Prozessqualität

Die Forderungen des Qualitätsmanagements sind schon recht alt und stammen aus der Fertigung. Die wahrscheinlich bekannteste Anwendung bzw. Interpretation kommt aus der Automobilindustrie, die bis heute weite Teile der Produktion prägen. Aber auch im Dienstleistungssektor ist diese Arbeitsphilosophie inzwischen weiträumig angekommen.

Grund hierfür sind zwei unterschiedliche Bedürfnisse: die Absicherung des Ausführenden und Sicherung seiner Umwelt vor Fehlern. Insbesondere bei sich stark wiederholenden und monotonen Tätigkeiten besteht die Gefahr, dass bestimmte Arbeitsschritte nicht reproduzierend oder gar nicht aufgeführt werden. Hier hilft das QM dem Ausführenden in Form von Check-Listen oder schriftlichen Anweisungen. Dokumentiert er nun in entsprechenden Erfassungseinheiten, meist Formularen oder inzwischen Handhelds, schützt er sich vor nachgelagerten Nachfragen oder Reklamationen.

Aber schon hier stellt sich das Problem der stringenten Datenerfassung und -auswertung. Solange umfangreiches Material handschriftlich in Formularen erfasst werden muss, ist der Aufwand, diese Daten auswertbar zu machen enorm und meist zu groß, um sinnvoll zu sein. So muss jemand manuell oder mithilfe eines Scanner-Systems die Daten in eine zentrale Datenbank übertragen. Dabei hilft eine weitgehende Homogenisierung der Daten, die aber nicht mit einem Informationsverlust verbunden sein darf.

So ist ein schlichter Haken auf einer Check-Liste sicherlich eindeutiger. Leider ermöglicht es das Papier dem Benutzer aber, weitere freie Informationen zu diesem Haken hinzuzufügen. Und diese Informationen sind häufig bedeutend wichtiger als der Haken selbst. Erlaubt nun ein Erfassungssystem die Übertragung dieser Mehrinformationen nicht, so ist der Informationsverlust zwangsläufig die Folge. Neben diesem Verlust erzeugt dieser Vorgang im Nachhinein Frust und Unverständnis bei den jeweiligen Anwendern, die natürlich ihre Arbeit infrage gestellt sehen.

Erfolgt nun die Datenerfassung auf Basis eines Handhelds, z. B. eines tragbaren Computers oder Scanners, ist eine manuelle Übertragung nicht mehr nötig. Wichtig ist nur, dass diese Systeme über das geforderte Datenvolumen hinaus Möglichkeiten bieten, Informationen zu erfassen. Auch können bestimmte sinnvolle Daten durch diese Systeme automatisch erfasst werden, wie z. B. die Zeit oder der Ort der Erfassung. Auch Vorgangsidentifikatoren wie z. B. eine Auftragsnummer, lassen sich vereinfacht vorgeben bzw. z. B. durch Barcode-Scanner leicht und fehlerfrei erfassen.

Möchte man nun die Qualität eines Prozesses durch die Methoden der I4 steigern, so steht am Anfang die klare Definition von Qualitätsdaten und –zielen.

Datenerfassung

Aktuell liegen Daten noch immer in sehr heterogener Form vor. Beginnend bei handschriftlichen Notizen auf sog. „Schmierzetteln“ über das Formularwesen bis hin zur elektronisch gestützten Datenerfassung ist in den Unternehmen immer noch jede Form häufig gleichrangig zu finden.

Dabei darf man die Vielzahl an Daten nicht außer Acht lassen, die durch Menschen in jeder Minute erfasst werden, um meist nur im Kurzzeitig-Gedächtnis bis zum Abschluss eines Prozesses zwischengespeichert zu werden. Diese Inhalte sind fast immer verloren bzw. zu einem nicht mehr sicher wieder abrufbar.

In einem I4-Projekt gilt es nun zunächst umfassend zu evaluieren, welche Art von Daten aktuell wie erfasst werden. Hierzu ist es hilfreich, entlang der Prozesskette alle Datenerfassungen in Steckbriefen zu erfassen.

Eine Auswertung dieser Steckbriefe ergibt dann den IST-Zustand entlang der Parameter: Erfassung, Ablage, Verfügbarkeit, Auswertbarkeit.

Fazit

Ebenso wie die Forderungen des modernen Qualitätsmanagements nutzen die Konzepte der Industrie 4.0 nur solchen Unternehmen oder Strukturen, die bereit sind, diese Ideen in die kulturellen Grundlagen zu integrieren. I4, weil man das eben halt so macht, kostet nur Geld. Eine ernsthafte und langfristige Aufnahme der Ideen und Konzepte von I4 jedoch ergeben nahezu zwangsläufig Synergien und Verbesserungen der Qualität und machen sich auf diese Weise von selbst bezahlt.

Oliver Brenscheidt

Geschäftsführer

Oliver Brenscheidt ist Chemiker mit mehr als 20 Jahren Erfahrung auf allen Gebieten der Galvanotechnik. Sein Urgroßvater Otto Brenscheidt gründete schon 1919 das heute noch tätige Familienunternehmen, sein Großvater Ernst gilt als Erfinder der Durchlauf-Galvanik.

Heute ist Oliver Brenscheidt Geschäftsführer der on Metall GmbH, er gründete die Brenscheidt Galvanik Service und betreibt die Website silberbird.de.