Ja, ja. Ist ja gut: bitte entschuldigt, dass ich gestern nichts von mir habe hören lassen. Es ist halt Wochendende!
Sting sang in seinem Lied “Englishman in New York”, die oben zum Titel dieses Beitrag erhobenen, wahren Worte. Ich fühle mich auch als Außerirdischer in Buenos Aires. Dieses Wochenende habe ich mal den Voll-Touristen gegeben. Der Plan war eine sog. Hop-on-hop-off-Bustour zu machen.
Problem Nr. 1: es gibt zwei Linien und man kann mit seinem 24h-Ticket nicht zwischen diesen Linien wechseln. Die rote Linie, die ironischerweise von eine Firma namens “Grey Line” betrieben wird, erschien mir weniger attraktiv. Darum sollte es die gelbe Linie sein. Zwei weitere Punkte standen auf meinem Programm für das Wochenende: der Besuch des Markts von San Telmo und ein Blick auf die Plaza Holandesa.
Da ich ja inzwischen durchaus gerne laufe, dachte ich mir Samstagmorgen ich nehmen einen Linienbus in die grobe Richtung der Plaza Holandesa. Ich wollte dahin, weil es der Ort ist, an dem Javier Milei mehr oder weniger inauguriert wurde. Es war seine erste größere Rede, nachdem er sich entschieden hatte, Präsident werden zu wollen. Es ging mir also darum, einfach mal an diesem besonderen Ort gewesen zu sein. Im Prinzip kein spektakulärer Platz:
Ok. Erledigt. Nun also zum Bus-Stop. Ein Haltepunkt der gelben Linie lag laut Internetseite des Busunternehmens wenige 100 Meter von dieser Stelle entfernt. Aber woran erkenne ich nun, dass ein Bus hier hielt. Um das herauszufinden, suchte ich mir ein mögliches Objekt meiner Begierde und beobachtete es im Straßenverkehr. Es gibt so eine Art schmaler Werbetafeln, welche die Haltestellen anzeigen.
Laut Internet kann man die Tickets im Bus bekommen. Der erste war ja soeben durch, so dass ich also zwangsläufig auf den nächsten warten musste. Nun kommen die Dinger leider nur etwa alle 20 Minuten. Also stand ich 20 Minuten da rum.
Der nächste Bus kam dann, aber der nette Fahrer entschuldigte sich: der Wagen hätte kein Zahlungssystem. Ich möge doch bitte auf den nächsten Wagen warten. Der hätte das bestimmt.
In meine nächste Warteperiode kam dann einer Roter und hielt direkt vor meiner Nase. Ich dachte mir, eh ich weitere Minuten sinnlos in der Sonne brate (wir haben gerade eine Art Sommeranfall des örtlichen, noch jungen Frühlings) nehme ich halt die grau-rote Linie. Ich hatte ja eh keinen wirklich rationalen Grund gehabt, die gelbe Linie zu nehmen. Vielleicht war es einfach nur die Farbe der Busse. Rein, bezahlt (also 40 Scheine à 1.000 ARS auf den Tisch des Busses) und los ging es.
An Tag zwei habe ich mich dann aktiv an die gelbe Linie herangemacht. Die Strecken sind leider 70% gleich, so dass ich in weiten Teilen von einer Vertiefung meiner Orientierungs-Kenntnisse von Downtown-Buenos Aires sprechen muss. (Die Bilder von Tag 2 sind ebenfalls schon oben dabei).
La Boca hat mich entsetzt. Hier wird die Armut von Buenos Aires sichtbar. Zumal von oben aus einem Cabriolet-Bus heraus. Es gibt tatsächlich noch eine Vielzahl von Wellblech-Hütten, die zum Teil auch sehr windschief sind. Die Hinterhöfe liegen voll mit Müll und Schrott und zwischen Müllsammlern und Bettlern tummeln sich jede Menge Touristen. Die beiden Fahrtabschnitte durch dieses Stadtteil haben mich an beiden Tagen sehr traurig gemacht.
Zum Thema Armut muss ich berichten, dass sich mit der Zeit der Blick schärft. Es gibt auffällig viele Orte, an denen es sich offensichtlich obdachlose Menschen mehr oder weniger gemütlich gemacht haben. Auch die Zahl der Menschen, die mich offen anbetteln, steigt. Ich sage dann immer auf möglichst fließendem Spanisch “Yo no entiendo espanol. Lo siento.”
In dem Zusammenhang noch eine Anekdote am Rande: als ich heute das Ticket für meinen gelben Bus kaufte, drückte mir der freundliche Busticket-Verkäufer einen Prospekt in Französisch in die Hand. Ich hob die Augenbrauen, wusste ich doch von Linie Rot, dass es die Dinger auch in meiner Muttersprache gibt. Ihr darauf angesprochen entschuldigte er sich, gab mir die deutsche Variante und sagte dann, dass der Akzent von Deutschen und Franzosen im Spanischen kaum zu unterscheiden sei. KAUM ZU UNTERSCHEIDEN. Niemals im Leben!
Hatte ich schon geschrieben, dass “Voy al chino”, also “Ich gehe zum Chinesen.” ich Buenos Aires gleichbedeutend mit “Ich gehe mal eben Einkaufen.” ist? Es gibt inzwischen so viele Chinesen in Buenos Aires, dass sie ihr eigenes China Town gebaut haben. Mit Eingangstor, Panda und allem drum und dran. Sogar die Straßennamen sind inzwischen mit chinesischen Schriftzeichen ausgestattet:
Und wo wir gerade bei Nationalitäten sind: Ich wollte ja so gerne in der Markthalle von San Telmo etwas essen. An einem Sonntag eine selten dämliche Idee. Es war so voll, dass ich mich zwangsläufig mit dem Touristenstrom von der Halle am anderen Ende wieder habe ausspeien lassen müssen. Es war so unglaublich voll. Ach ja. Nationalitäten: wer hats gemacht?
Zum Abschluss noch ein kurzes Wort über den Markt von San Telmo. Wobei ich an dieser Stelle eigentlich erst erwähnen muss, dass einen Marktstand am Wochenende betreiben, für den Porteno ungefähr so ist, wie für den Franzosen Jagen gehen oder Fahrrad fahren. Bei den Busfahrten habe ich mindestens ein Dutzend verschiedener Märkte gesehen. Dabei sind die Stände tatsächlich immer gleich, quasi genormt (wie deutsch ist das denn?), ca. 1,5-1,8 m lang. Und soweit ich das aus meinem Cabriolet sehen konnte, sind auch die Produkte austauschbar: Kunsthandwerk, Gebimsel, T-Shirts (ich habe endlich 2 neue, so dass ich wohl darum herum komme, von meinen Klassenkameraden als übler Stinker verabschiedet zu werden). Dazwischen, und das finde ich wirklich bemerkenswert, fliegende Händler, die Essen und Getränke anbieten.
Also San Telmo: ich bin nicht wirklich ein großer Fan von diesen Kramtischen. Der Markt von San Telmo zieht sich über die gesamte Länge eine Straße. Ich schätze die Gesamtlänge auf ca. 2 km. Dabei wird jede zweite Stichstraße nach links und/oder rechts gerne einmal mit erschlossen. Wenn jetzt jeder Stand 2 Meter lang wäre (sie sind definitiv kürzer) und ich postuliere, dass es links und rechts je einen Stand gibt (wenn die Straße breiter ist, sind es durchaus 3), dann sprechen wir hier von über 4.000 Ständen nur in San Telmo. Ich bin so froh, dass niemand bei mir war, der sich wirklich für diese Dinge begeistern kann, gell Christof!
Hallo Olli,
Ernie hatte mir den Link zu Deinem Blog weitergeleitet, aber ich bin erst heute dazu gekommen, mal reinzuschauen. Ich freue mich, dass Du uns an Deinen Erlebnissen teilhaben lässt! Wir waren vor 20 Jahren für zwei Tage in Buenos Aires, es war der Abschluss unseres Besuches bei unserer brasilianischen Gasttochter in Rio Grande do Sul. Viele Deiner Bilder wecken Erinnerungen, insbesondere die von La Boca und Maradonas altem Stadion.
Ich bin gespannt, was Du noch an Eindrücken über das Land nach einem Jahr Javier Milei mitbringst!
LG Klaus
PS Mate haben wir auch probiert, wir teilen Deine “Begeisterung”